Wirbelsäulenoperationen
Fast jeden trifft es irgendwann. Rund 80 Prozent der Deutschen müssen im Laufe ihres Lebens wegen Rückenschmerzen zum Arzt gehen. Dabei kommen gar nicht alle Rückenschmerzen vom Rücken. Auch Nierensteine, Magengeschwüre oder Bauchspeicheldrüsenentzündungen können ursächlich sein. Dafür verursachen Probleme im Bereich der Wirbelsäule oft Schmerzen in den Armen oder Beinen, weil die entsprechenden Nervenbahnen gedrückt werden. Aber auch wenn die Neurochirurgen im Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen eine den Rücken betreffende Diagnose stellen, heißt das nicht, dass sofort operiert werden muss. Bei Bandscheibenvorfällen sollte zum Beispiel immer erst eine konservative Therapie getestet werden. Hilft diese nicht, kann immer noch operiert werden.
Podcast: Wenn die Bandscheiben Probleme bereiten
Häufige Krankheitsbilder
Bandscheibenoperationen und Kunstbandscheiben
„Rücken“ trifft fast jeden ein- oder mehrmals im Laufe seines Lebens. Meist steckt aber kein Bandscheibenvorfall hinter diesen Beschwerden, sondern oftmals ein Verschleiß der Wirbelsäule und ihrer Gelenke, Verspannungen der Muskulatur und fehlendes Training der Nacken- und Rückenmuskeln. Ursächlich dafür ist nicht zuletzt zunehmender Bewegungsmangel. In den meisten Fällen ist ober kein Eingriff nötig, sondern es helfen konservative Therapiemaßnahmen. In seltenen Fällen muss der Arzt die Beschwerden über CT-gesteuerte Blockaden lindern.
Wichtig ist, dass Rückenschmerzen nicht immer vom Rücken kommen – denn auch Nierensteine, Bauchspeicheldrüsenentzündungen, Magengeschwüre, Myome der Gebärmutter, Endometriosen oder Aneurysmen der Bauchschlagader, aber auch eine Osteoporose, Entzündungen oder Tumore der Wirbel können Rückenschmerzen auslösen.
Die Bandscheibe sitzt als Puffer und Polster zwischen den Wirbeln und besteht aus einer relativ harten Hülle mit einem weichen Kern, etwa so wie ein mit Marmelade gefüllter Luftballon. Wenn die Hülle einreißt, ist es ähnlich wie bei einer Zahnpasta-Tube: Schraubt man die Kappe ab und drückt auf die Tube, so quillt Zahnpasta daraus hervor. Und so wie die Zahnpasta nicht mehr von alleine in die Tube zurückflutscht, so geht auch ein Bandscheibenvorfall nicht wieder in den Bandscheibenraum zurück.
Der Nachweis eines Bandscheibenvorfalls in der Kernspin- oder Computertomographie bedeutet nicht, dass deshalb eine Behandlung erfolgen muss. Ein Bandscheibenvorfall selbst tut nämlich gar nicht so sehr weh, weil die Bandscheibe keine Schmerzfasern hat. Wenn der Bandscheibenvorfall aber auf die Nerven drückt, die zu den Armen oder Beinen ziehen, dann entstehen die typischen ausstrahlenden Schmerzen.
Muss immer operiert werden?
Zum Glück hilft sich der Körper häufig selbst, die Bandscheibe besteht zu mehr als der Hälfte aus Wasser, der Körper kann sie somit schrumpfen. Und wenn der Vorfall dann nicht mehr auf den Nerv drückt, muss auch nicht operiert werden. Von 100 Patienten, die wir in unserer Sprechstunde mit der Frage sehen, ob eine Operation erforderlich ist, müssen wir dies nur bei zehn Prozent wirklich tun. Operationen kommen bei Bandscheibenvorfällen in Betracht, wenn diese sich unter konservativen Therapiemaßnahmen nach sechs bis acht Wochen nicht bessern oder wenn die Lähmungen so ausgeprägt sind, dass eine konservative Behandlung nicht vertretbar ist. Blasen- und Darmstörungen sind ein Notfall und müssen sofort operiert werden.
Wie sollte operiert werden?
Natürlich möchte jeder möglichst minimal invasiv operiert werden. Dies wird fälschlicherweise immer gleich gesetzt mit „möglichst kleine Löcher in die Haut schneiden und den Laser und das Endoskop benutzen“. Hierzu finden Patienten im Internet unzählige Therapieverfahren. Kaum eines dieser Verfahren hält aber einer genaueren Überprüfung stand, in manchen Fällen sind sie sogar eher schädlich und gefährlich. Der Laser beispielsweise ist ein energiereicher gebündelter Lichtstahl, der Gewebe verbrennt. Wie würden Sie Ihr Unkraut auf dem englischen Rasen entfernen? Vorsichtig auszupfen oder mit dem Flammenwerfer abbrennen? Das Endoskop ist eine Minikamera, mit der man das Operationsfeld auf einen Monitor übertragen kann. Endoskope sind heutzutage immer noch 2D, während das Operationsmikroskop eine 3D-Darstellung bietet. Wie haben sie bei Avatar im Kino mehr gesehen ? In der normalen 2D- oder in der 3D-Version?
Wenn operiert werden muss, dann ist das beste und schonendste Verfahren derzeit immer noch die mikrochirurgische Entfernung des Vorfalls. Hier gilt: Bettruhe nach der Operation war früher einmal, heutzutage darf der Patient sofort wieder aufstehen und natürlich auch sitzen, Korsette und Halskrawatten nach der Operation sind nicht nötig und der stationäre Aufenthalt beträgt meist nur wenige Tage. Natürlich entwickelt sich die Medizin weiter, aber nicht alles, was neu ist, ist auch besser. Erst wenn ein neues Verfahren nachweisbar dem bisherigen überlegen ist, macht es Sinn, die Behandlung zu ändern.
Kunstbandscheiben
In jüngster Zeit haben eine ganze Reihe von Firmen künstliche Bandscheiben auf den Markt gebracht. Während die Implantation im Lendenwirbelsäulenbereich derzeit noch wesentlich aufwändiger ist, als eine normale Bandscheibenoperation und auch noch keine gesicherte Verbesserung der Behandlung bietet, ist dies im Halswirbelsäulenbereich kaum mit mehr Risiken oder größeren Schnitten verbunden, als bei der herkömmliche Operation mit sogenannten Cages.
Als Hauptvorteil scheint die Erhaltung der Beweglichkeit in der operierten Bandscheibenetag, da hierdurch die Belastung für die angrenzenden Bandscheiben nicht erhöht wird. Allerdings gilt auch hier: es liegen noch keine statistisch verwertbaren Zahlen hierzu vor, dass dies auch tatsächlich so ist. Hinzu kommt, dass die Lebensdauer der Bandscheiben-Prothesen allgemein mit ca. 10 bis 15 Jahren angenommen wird. Unklar ist bislang, ob es danach zu einer spontanen Versteifung kommt, oder ob auch eine weitere Operation (wie bei manchen Hüftgelenksprothesen) notwendig wird. Daher sind diese Kunstbandscheiben in bestimmten Fällen durchaus sinnvoll, aber derzeit sicherlich noch nicht das Standardverfahren bei operativ zu behandelnden Bandscheibenvorfällen. Wir bieten daher diese Operation als Option an, die Standard-Operation mit Cages ist deshalb aber keineswegs verlassen worden.
Spinalkanalstenose
Eine Spinalkanalstenose kommt sowohl im Halswirbelsäulen- (HWS) als auch im Lendenwirbelsäulenbereich (LWS) vor. Das zur HWS zugehörige Krankheitsbild heißt zervikale Myelopathie. Durch chronischen Druck auf das Rückenmark kommt es zu einer Gangunsicherheit, die sich ähnlich äußert, als ob der Betroffeme betrunken ist, oft bestehen auch Gefühlsstörungen der Arme und Beine, Schmerzen sind eher selten. Im LWS-Bereich steht dagegen nach einer kurzen Gehstrecke von wenigen 100 Metern ein Schmerz in beiden Beinen im Vordergrund, der sich nach kurzer Gehpause bessert. Das Krankheitsbild heißt Claudicatio spinals.
Ursächlich sind angeborene oder erworbene Engstellen des Rückenmarkskanals, etwa durch Wirbelgelenksvergrößerungen, verkalkte Bandscheibenvorfälle oder ein Wirbelgleiten. Seltener sind Überbeine der Wirbelgelenke (sog. Synovial- oder Juxtafacettenzysten) die Ursache. Therapie der Wahl ist eine Erweiterung des Rückenmarkskanals, bei Wirbelgleiten ist meist eine Versteifungsoperation notwendig.
Stabilisierungsoperationen
Unter diesen Begriff fallen zunächst einmal alle größeren Operationen an der Wirbelsäule, bei denen Implantate eingesetzt werden. Häufig werden hierfür auch Begriffe wie Verschraubung oder Versteifung verwendet. Derartige Eingriffe sind zum Glück nur selten erforderlich. In Betracht kommen sie dann, wenn eine schwere Instabilität im Bereich der Wirbelsäule vorliegt. Dies kann aufgrund eines Wirbelbruches nach Unfällen der Fall sein oder, wenn sich Tumoren beziehungsweise Metastasen am Wirbelknochen gebildet haben. Darüber hinaus kann auch ein sogenanntes Wirbelgleiten eine Versteifungsoperation erfordern. Wirbelgleiten kann angeboren sein oder sich durch fortschreitende Abnutzung der Wirbelgelenke entwickeln.
Wichtig ist, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob es Alternativen zu einer Operation gibt. Beispielsweise können Metastasen der Wirbelsäule oft auch durch eine Bestrahlung oder Chemotherapie gut behandelt werden. Dies überprüfen wir individuell bei jedem Patienten. Meistens ist es nicht erforderlich, nach den Eingriffen eine Halskrawatte oder ein Korsett zu tragen. Die Patienten können im Regelfall unmittelbar nach der Operation wieder aufstehen und auch sitzen.
Sollte eine Operation notwendig sein, kann diese normalerweise minimalinvasiv durchgeführt werden – insbesondere dann, wenn eine Verschraubung „von hinten“ erforderlich ist. Hier werden Sie häufig auf die Begriffe PLIF, TLIF oder XLIF stoßen. Im Folgenden erklären wir Ihnen, was sich hinter diesen Bezeichnungen verbirgt.
Operationen von hinten (posteriorer Zugang)
Lendenwirbelsäule
PLIF ist die englische Abkürzung für „posterior lumbar intervertebral fusion“. Bei dieser Methode wird die Lendenwirbelsäule von hinten verschraubt und die Wirbelkörper werden durch ein Implantat (meist ein sogenannter Cage) verbunden. Hierzu müssen der Spinalkanal eröffnet und die Nerven freigelegt werden. TLIF und XLIF sind sehr ähnliche Operationen. TLIF steht für „transforaminal lumbar intervertebral fusion“ und XLIF für „eXtreme lateral lumbar intervertebral fusion“. Auch diese Eingriffe führt man von hinten durch und bringt Schrauben ein. Der Unterschied zum PLIF liegt beim TLIF darin, dass der Spinalkanal nicht eröffnet, sondern der Cage seitlich durch das Zwischenwirbelloch eingebracht wird. Dieses Verfahren reduziert zwar das Risiko der Operation, ist allerdings nur dann anwendbar, wenn eine Entlastung (Dekompression) des Spinalkanals nicht nötig ist. Das ist allerdings bei dieser Art von Operationen eher die Ausnahme. Denn wenn der Spinalkanal frei ist, genügt oft auch eine nichtoperative (konservative) Therapie. Beim XLIF bringt man den Cage noch weiter von der Seite ein. Hierdurch kann der Hautschnitt verkleinert werden, aber es besteht ein höheres Risiko, Nerven zu verletzen.
Brustwirbelsäule
In dieser Region ist das Risiko der Schraubeneinbringung von hinten anatomisch bedingt etwas höher, als im Bereich der Lendenwirbelsäule. Denn die sogenannten Pedikel sind hier dünner. Muss der Wirbelkörper ersetzt werden, kann dies meist nicht von hinten erfolgen. Notwendig ist dann eine Operation durch den Brustkorb (Minithorakotomie).
Halswirbelsäule
Sind von hinten Eingriffe an der Halswirbelsäule nötig, führt man in aller Regel eine sogenannte Massa lateralis Verschraubung durch. Bei diesem Verfahren werden die Schrauben in die Wirbelgelenke gesetzt. Durch die engen anatomischen Verhältnisse und die direkte Lage zur Nackenschlagader beinhaltet auch diese Operation ein gewisses Risiko.
Operationen von der Seite (lateraler Zugang)
Lendenwirbelsäule
Wenn zusätzlich oder anstatt einer Operation von hinten Eingriffe an den Wirbelkörpern auf Höhe L2 und L3 (manchmal auch L1) notwendig sind, kann dies von der Seite über einen sogenannten retroperitonealen lateralen Zugang erfolgen. Man geht seitlich am Bauchfell vorbei, um den sogenannten Psoasmuskel von der Wirbelsäule abzulösen. Ab L4 wird der Eingriff in der Regel von vorne durchgeführt, weil durch die Lage der Nerven ein erhöhtes Risiko einer Lähmung der Beine besteht. Schwierig wird das Verfahren bei L1. Denn hier sind die Rippen und das Zwerchfell der limitierende Faktor. Eingesetzt wird dann oft die Minithorakotomie.
Brustwirbelsäule
Mit einer sogenannten Minithorakotomie gelangt man einfach von vorne an die Brustwirbelsäule heran. Technisch ist der Aufwand aber groß. Denn vorübergehend kann während der Narkose nur ein Lungenflügel beatmet werden. Bei Patienten mit schweren chronischen Lungenerkrankungen oder starken Rauchern kann dies unmöglich sein. Dieser Eingriff wird in der Regel bei Wirbelbrüchen oder Wirbelmetastasen nötig, die nicht konservativ behandelbar sind.
Operationen von vorne (ventraler Zugang)
Lendenwirbelsäule
Diese Option ist für Operationen von L4 bis zum Steißbein (S1) sinnvoll, wenn ein Eingriff von vorne nötig ist. Auch hier wird der Zugang außerhalb des Bauchfells (extraperitoneal) durchgeführt. Das Hauptrisiko liegt darin, dass große Blutgefäße wie die Bauchschlagader direkt auf der Wirbelsäule liegen und abgelöst werden müssen. Daher wird dieses sogenannte ALIF-Verfahren (anterior lumbar intervertebral fusion) nur bei zwingender Notwendigkeit angewendet.
Halswirbelsäule
Im Vergleich zur Lendenwirbelsäule ist dieser Zugang wesentlich einfacher und entspricht genau dem Zugang bei normalen Halsbandscheibenoperationen. Dieser Eingriff wird durchgeführt, wenn ganze Halswirbelkörper ersetzt werden müssen.
Kunstbandscheiben
Kunstbandscheiben werden auch als Bandscheibenprothesen bezeichnet und sind Anfang 2000 erstmals auf den Markt gekommen. Das theoretische Konzept ist nach wie vor sinnvoll, weil anstatt einer Versteifung die Beweglichkeit erhalten bleibt. Leider hat sich diese Erwartung in der Praxis nicht erfüllt. Im Gegensatz zu künstlichen Hüftgelenken funktioniert beispielsweise im Halswirbelsäulenbereich die Bandscheibenprothese nur sehr kurz und versteift dann auch. Im Lendenwirbelsäulenbereich ist der Aufwand bei der Implantation von vorne sehr hoch, auch hier haben sich die Erwartungen nicht erfüllt, so dass insgesamt derzeit kaum noch Indikationen zu einem derartigen Eingriff bestehen.
Interspinöse Spreizer
Viele Unternehmen haben derartige Spreizer auf den Markt gebracht. Die Aufdehnung der Wirbel sollte bei Spinalkanalstenosen den Spinalkanal erweitern und gleichzeitig eine Instabilität bekämpfen. Auch diese Spreizer haben die Erwartungen nicht erfüllt und werden daher kaum noch eingesetzt.
Dynamische Stabilisierungen
Im Gegensatz zu den Standard-PLIF/TLIP/XLIF Operationen werden hierbei die in den Wirbelkörper eingebrachten Schrauben nicht mit einem festen Stab, sondern einem Federsystem verbunden, um eine Versteifung zu vermeiden. Ob sich dies auf längere Sicht bewährt, muss abgewartet werden.
Kyphoplastie
Diese – minimal invasive – Stabilisierung von osteoporotischen Wirbelkörperbrüchen mit Knochenzement reduziert das operative Risiko gegenüber der herkömmlichen Vertebroplastie, da der Knochenzement nicht mehr mit Hochdruck in den gebrochenen Wirbelkörper gespritzt werden muss. Vielmehr wird der Wirbelkörper zunächst mit einem Spezialballon so weit wie möglich aufgerichtet, der Knochenzement kann dann kontrolliert in den neu geschaffenen Hohlraum injiziert werden. Für dieses Verfahren kommen Brüche der Brust- und Lendenwirbelsöule in Frage, welche konservativ nicht ausheilen, Diagnostik der Wahl ist ein Kernspintomogramm in T2-gewichteten oder Stir-Sequenzen.
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